CD des Monats: BLIND GUARDIAN - At The Edge Of Time

Ich mag einen Gnom nicht von einem Zwerg oder einen Elfen von einem Elb unterscheiden können. Habe vom Herrn der Ringe nur die Verfilmung gesehen und nie die Tolkienschen Bücher zu Ende gelesen, weil mir die niedergeschriebene Singerei so elendig auf die Nerven ging. Von Michael Moorcock habe ich mir vor Jahrzehnten mal einen "Corum"-Roman zu Gemüte geführt, kann mich aber nur daran erinnern, dass ich über den Namen des Autoren schmunzeln musste. Bei George R.R. Martins "A Song of Fire and Ice"-Zyklus vermag ich gerade mal einen durchgelesenen Band vorzuweisen (freue mich aber sehr auf die demnächst startende HBO-Serie). Kurz gesagt: ich bin so ziemlich die absolute Fantasy-Null und hätte es im Hobbitdorf wohl maximal zum Zehenhaarschneider statt zum Ringträger gebracht. Aber ich erkenne großartig inszenierte und eingespielte Musik, wenn ich sie höre - und die neue Blind Guardian ist so famos geworden, dass mir beim Hören dauernd ein schmatzendes "mein Schatz" über die Zunge zischelt.

Wie zwei mächtige Türme umflanken zwei epische Weisen der Krefelder Barden die Prunkburg, zu deren Tor dieses Werk Einlass gebiet... naja, jetzt ist es aber langsam mal gut mit den anbiedernden Zitaten aus der modernen Phantastik. Nicht dass sich noch das Auge Saurons zusammenrollt und eine Höhle zum Drinversinken sucht. Also, die beiden orchestralen Songs und Übernummern „Sacred Worlds“ und „The Wheel Of Time“ eröffnen und beschließen ein Album, welches die gesammelten Stärken der mittlerweile weit über 20 Jahren aktiven Band in sich vereint und einen gelungenen Spagat zwischen alten Tugenden und neuen Stärken hinbekommt. Vor allem „Wheel Of Time“ mit seinem orientalischen Touch und dem pompösen Einsatz des FILMharmonic Orchesters Prag verzaubert mich auch nach dutzenden Malen des Anhörens. Wer wie ich auf die vereinte Wucht von Klassik und Metal steht, darf sich für die knapp 9 Minuten Laufzeit auf euphorische Schnappatmung einstellen.


Gedacht wurde natürlich auch an die Freunde des gediegenen Fantasy-Folksongs, „War Of The Thrones“ mit seinem schunkeligen Refrain dürfte dem Bandklassiker „The Bard’s Song“ ordentliche Konkurrenz auf der Setliste machen, während bei „Curse My Name“ der gute Ritchie Blackmore seine Candice Night wohl kurzzeitig in den Turm sperren muss, damit sie ihm nicht fremdgeht. Nostalgiker bekommen mit den drei flott und saftig eingespielten Nummern „Tanelorn (Into The Void)“, „Ride Into Obsession“ und „A Voice In The Dark“ eine dankenswerte Erinnerungskeule an die guten alten Speedmetal-Zeiten übergezogen. Die Mischung aus Hansi Kürschs immer noch energischer Stimme, André Olbrichs wirbelnder Lead-Gitarre, die gerne „Queen“ zitierenden oder einfach majestätisch eingesungenen Chöre und die ausgearbeiteten Refrains funktionieren schließlich auch bei den Midtempo-Songs „Road Of No Release“, „Valkyries“ und „Control The Divine“. Dazwischen füllen Rhythmusgitarrist Marcus Siepen sowie Drummer Frederik Ehmke zuverlässig jede kleine Lücke; das alles, ohne dem großen Tonspurenwahn früherer Produktionen zu verfallen. Insgesamt ein Album ohne jeglichen Ausfall, das die weniger im Gehörgang haften gebliebenen Vorgänger „A Night At The Opera“ und „A Twist In The Myth“ vergessen macht. Die Special Edition enthält neben Demoversionen diverser Tracks die Orchester-Fassung von „Wheel Of Time“ und den solide metallisch aufpolierten 80er Kultsong „You’re The Voice“.

Die deutschen Altmeister des im wahrsten Sinne des Wortes fantastischen Metal können nach einer Schwächephase endlich wieder voll und ganz überzeugen. Iron Maiden, bitte nachmachen!

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